Montag, 9. Februar 2009

Köln-Tokio 1: Helsinki und Moskau


Ich habe gerade wenig Zeit, um Beiträge zu schreiben. Daher werde ich in den kommenden Tagen einige Texte über meine Fahrt von Köln nach Tokio mit der transmongolischen Eisenbahn veröffentlichen. Die Texte habe ich zwar schon 2007 geschrieben und auf einer anderen Seite ins Netz gestellt, aber olle Kamellen aufzuwärmen ist ja mittlerweile ein beliebtes Mittel des modernen Journalismus - oder Spiegel, Spiegel Spezial, Spiegel Online, Spiegel TV, Spiegel TV Spezial? Heute kommt also der erste Text: Helsinki und Moskau:

Wir sitzen im Fährhafen von Travemünde und trinken Holsten. Vor uns liegen eine Überfahrt nach Helsinki, sechs Tage mit der transmongolischen Eisenbahn von Moskau durch den Ural, Sibirien und die Wüste Gobi nach China, eine Woche Peking und Qingdao, einige Tage Korea und schließlich die Ankunft in Japan. Vor uns steht jetzt aber erst einmal ein älterer Herr, der nichts sagt, aber immer wieder hektisch auf unser Gepäck zeigt. Wir machen uns Sorgen um seinen Geisteszustand. Wahrscheinlich ein Finne, den die Freude über die moderate Alkoholsteuer in Deutschland überwältigt hat. Plötzlich verstehen wir, was er meint: Seit einiger Zeit piept mein Reisewecker tief in der Tasche und die anderen Passagiere sind bereits einigermaßen genervt. Sanae wird später erzählen, dass sich mein Gesicht rot gefärbt hat. Ich werde das auf das Bier schieben. Wie auch immer: Es geht los. Drei Wochen um die halbe Welt.

Die Überfahrt nach Helsinki war recht entspannt. Am Buffet schaufelten sich die russischen LKW-Fahrer bergeweise Krabben auf den Teller, im Restaurant saß neben uns eine Deutsche, die ununterbrochen geredet hat, während ihr finnischer Mann nur hin und wieder zustimmend brummte, einige Finnen schwankten stärker als das Schiff und vor dem Kinder-Spielparadies hatte jemand 5 Bierpaletten gestapelt. Mehr passierte bis Finnland nicht. Helsinki war vor allem eines: kalt, saukalt. In Deutschland waren es bei unserer Abfahrt noch 30 Grad, in Finnland lediglich 7. Schlimmer noch: Es wehte ständig ein starker Wind. Die Stadt fanden wir eher enttäuschend. Ganz nett als Durchgangsstation, aber alleine sicherlich keine Reise wert. Die Kathedrale sah von außen gut aus, war innen allerdings protestantisch langweilig. Es gab eine Luther-Statue, eine meditierende Spanierin und eine chinesische Reisegruppe, die es eilig hatte.

Nachtzug Helsinki - Moskau

Am Abend sind wir dann in den Nachtzug nach Moskau gestiegen. Vor dem Eingang stand eine russische Zugbegleiterin, die mürrisch auf die Tickets starrte und uns dann mit einem kurzen Kopfnicken widerwillig in den Zug ließ. Wenige Minuten nach der Abfahrt hatte sie ihre strenge Uniform gegen eine lockere Traininghose getauscht und verteilte die Einreiseformulare für Russland, die es nur in russischer Sprache gibt. Daher fragte sie uns: ruski? Wir sagten: niet. Sie warf die Augen in den Himmel. Wir können zwar kein Russisch, hatten dafür aber ein Transsib-Handbuch, in dem genau beschrieben ist, wie man die Formulare ausfüllt. Das Prozedere war daher keine große Herausforderung. Nach einiger Zeit steckte die Zugbegleiterin ihren Kopf ins Abteil, sah unsere ausgefüllten Formulare, strahlte glückselig und murmelte etwas auf Russisch, das wir nicht verstehen, weil es nicht in unserem Transsib-Handbuch stand. Fortan war sie auf unserer Seite und lächelte bei jeder Begegnung auf dem Korridor so herzlich, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Die Grenzkontrollen waren locker. Die finnischen Beamten sagten zu Sanae arigatou (danke). Die russischen Beamten konnten kein Japanisch, waren aber durchaus freundlich und verlangten keinerlei Bestechungsgelder.

Am Bahnhof wartete Jefgeni, der uns als Reiseführer zwei Tage Moskau zeigen würde. Jefgeni sah aus wie der junge Mel Brooks und sprach Deutsch mit einem schon fast stereotypen weichen russischen Akzent. Offenbar betreut Jefgeni normalerweise Deutsche, die auf Kosten der Pflegeversicherung nach Russland reisen. Jedenfalls erklärte er uns detailliert, wie wir unsere Hoteltür aufschließen können, wo der Frühstücksraum im Hotel ist, wann wir essen können usw.. Außerdem fragte es uns während der beiden Tage alle 10 Minuten, ob wir vielleicht auf Toilette müssen. Auf dem Weg ins Hotel kamen wir an einem Auto vorbei, das mit einer Straßenbahn zusammengestoßen war. Jefgeni stellte dazu nur fest: “Tschechische Straßenbahn ist härter als japanisches Auto”. Dann erzählte er, dass vor kurzem eine alte Dame mit ihrem Auto frontal in einen stehenden Bus gefahren sei und anschließend erklärte, sie habe den Bus nicht gesehen. Jefgeni fand das zum Totlachen. Wir fanden das auch witzig.

Tagsüber haben wir uns den Kreml und das Neujungfrauen-Kloster angesehen. Das Kloster war sehenswert und hatte, laut Jefgeni, auch wunderschöne Toiletten, die ich aber leider verpasst habe. Jefgeni entpuppte sich als glühender Putin-Anhänger. Putin habe die Wirtschaft auf Kurs gebracht, das Chaos beendet und vor allem dem Mittelstand wieder Stabilität gegeben. Andauernd lese er aber in der Zeitung, dass es keine Pressefreiheit gäbe. Das sei doch Beleg dafür, dass es in Russland Pressefreiheit gibt. Ganz überzeugt waren wir nicht.

Am Nachmittag sind wir dann ohne Jefgeni in den Park der Errungenschaften der Volkswirtschaft gegangen. Es war Sonntag und die Sonne schien. Daher spazierten viele junge Russen durch den Park. Der Park bestand im Wesentlichen aus zwei großen asphaltierten Straßen an deren Seiten riesige Gebäude in stalinistischer Architektur standen. Die Gebäude waren alle leer - nur in einem fand gerade ein Schönheitswettbewerb für Katzen statt. Am Ende der Straßen standen zwei Aeroflot-Flugzeuge und eine Weltraumkapsel. Alles zusammen zeigte wohl die Errungenschaften der Volkswirtschaft.


Park der Errungenschaften der Volkswirtschaft


Gebäude im Park der Errungenschaften der Volkswirtschaft

Vor der Abreise nach Peking wollten wir zum Prominenten-Friedhof des Neujungfrauen-Klosters, wo unter anderem Dostojewski und Tschechow begraben sind. Einige Tage zuvor hatte sich zu den toten Prominenten auch Boris Jelzin gesellt. In Russland ist es Sitte, dass sich die Verwandten nach einer Weile am Grab versammeln, um dem Verstorbenen zu gedenken. Jelzins Familie stand nun gerade an dessen Grab, als wir auf dem Friedhof ankamen. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mit der Frau und der Tochter von Boris Jelzin an dessen Grab stehen würde. So spektakulär war es allerdings nicht. Einige Familienmitglieder sahen denn auch recht gelangweilt aus.

Grab von Boris Jelzin

Danach war es Zeit, unserem Stadtführer Jefgeni “Auf Wiedersehen” zu sagen, um alleine durch Moskau zu gehen. Jefgeni fragte voller Zuversicht: “Habt ihr einen Stadtplan dabei?” Hatten wir nicht. Erstes Entsetzen machte sich auf Jefgenis Gesicht breit. “Habt ihr einen U-Bahn-Plan?” Hatten wir auch nicht. Nun zeigte sich in Jefgenis Gesicht blanke Panik. Wir waren wahrscheinlich die ersten Deutschen, die völlig ohne detailliertes Kartenmaterial gen Osten gefahren waren. Im Geiste sah er uns vermutlich so enden, wie der Held aus “Die Reise nach Petuschki” endete: nach einer langen Irrfahrt mit der Bahn durch die Moskauer Vororte zu Tode gehetzt und geprügelt. Jefgeni malte dann umständlich detaillierte Pläne auf einen winzigen Zettel, schrieb seine Handynummer auf und verabschiedete sich von uns offenbar in großer Sorge, wir würden es nie rechtzeitig zum Bahnhof schaffen.

Wir spazierten dann den Arbat runter und gingen zum Roten Platz, weil wir mal sehen wollten, was da am 1. Mai so los war. Es war nichts los. Oder genauer gesagt: Es waren nur hunderte von Sicherheitskräften los, die den gesamten Platz abgeriegelt hatten. Lediglich ein einsamer Hund humpelte auf drei Beinen Richtung Kreml. Anschließend sind wir ohne Probleme mit der U-Bahn Richtung Hotel gefahren, haben unser Gepäck geholt und sind dann weiter zum Jaroslawer Bahnhof gefahren.


Roter Platz am 1. Mai

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